HMP Ü18 Fahrt: Ohne Kompass - mit Ziel

 

Durch meinen studienbedingten Umzug nach Baden-Württemberg habe ich in den letzten Jahren wenig Zeit gefunden, mich in der HMP zu engagieren oder mit auf Veranstaltungen zu fahren. Doch jetzt die Gelegenheit: ein Wochenende für alle über 18, keine Aufgaben übernehmen, einfach mitfahren und genießen. Ich bin seit 13 Jahren Teil der Heliand Pfadfinderinnenschaft, war schon oft mit dem Rucksack unterwegs und doch war ich sehr dankbar für die Packliste. Denn nach zwei Jahren Pandemie mal wieder für eine Fahrt zu packen war doch herausfordernder als anfänglich gedacht. Rucksack? – habe ich; warme Kleidung? – habe ich; Schlafsack und Isomatte? – da haben wir schon die erste Hürde, denn nach einem kritischen Rundumblick durch mein WG-Zimmer muss ich feststellen, dass ein Großteil meines Pfadfinderinnen-„Equipment“ gar nicht mit mir aus dem elterlichen Haus ausgezogen ist. Also muss ich wohl vor der Fahrt nochmal dort vorbeischauen, kein Problem. Als ich mich am Freitagmorgen mit fertig gepacktem Wanderrucksack vom Elternhaus auf den Weg zum Frankfurter Hauptbahnhof machte stelle ich fest, dass es auch seine Vorteile hat, ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr zu wachsen, denn glücklicherweise passen die Wanderschuhe noch!

 

 

Am Gleis in Frankfurt treffe ich auf die Anderen und zu acht fahren wir mit Bahn und Bus zur Paul Gerhardt Gemeinde nach Wiesbaden. Dort werden die Wassersäcke aufgefüllt, das Gemeinschaftsgepäck verteilt und alle flitzen nochmal auf Klo. Wie es sich auf Fahrt gehört, haben wir natürlich auch eine Wanderkarte dabei, es stellt sich allerdings heraus, dass der Kompass wohl nicht eingepackt wurde und außerdem, wie liest man nochmal eine Karte? Nachdem alle einmal einen mehr oder weniger verwirrten Blick auf die ganzen weißen und roten Linien geworfen haben, wird sich für eine Route entschieden. Unser Ziel ist eine Schutzhütte im Wald. Als Mittagssnack gibt es Pizzaschnecken und Zitronenmuffins, die Stimmung ist also allgemein gut und mit der strahlenden Sonne über uns laufen wir los. Für dieses Wochenende steht jedoch nicht nur Wandern auf dem Programm, sondern es gibt auch einen inhaltlichen Schwerpunkt. Unter dem Titel eines unserer Pfadfinderinnen-Lieder Träume brechen Grenzen und Abschnitten aus John Streleckys Erzählung Das Café am Rande der Welt bekommen wir immer wieder Inputs und Gesprächsanregungen, um sich mit uns selbst und miteinander auseinander zu setzen. Wo stehe ich gerade in meinem Leben? Bin ich zufrieden damit? Welche Stressoren habe ich in meinem Alltag? Was sind meine „Big-Five“, meine fünf Ziele, die ich in meinem Leben erreichen will? Diese Gedanken beschäftigen uns die nächsten Tage. Und wir quatschen auch einfach viel, denn teilweise hat man sich lange nicht gesehen und es gibt viel zu erzählen.

 

 

Die Schutzhütte entspricht ganz unseren Anforderungen, denn alle Isomatten passen hinein und wir haben ein Dach über dem Kopf! Nach dem ersten Tag Wanderung sind alle hungrig und dankbar, die schweren Rucksäcke wieder absetzten zu können. Gemeinsam wird gekocht, Tikka Masala mit Soja-Geschnätzeltem und Reis. Ich bin für das Schneiden des Knoblauchs verantwortlich. Wie viele Zehen nehme ich am besten…? Wir sind zu acht, alle mögen Knoblauch, wir haben morgen wahrscheinlich mit niemand andrem großen Kontakt und je mehr wir essen desto weniger müssen wir morgen tragen… also wandert die halbe Knolle in den Topf. Nachdem das leckere Essen verputzt ist, stellt sich die Frage nach dem Spülen. Kochen wir jetzt extra noch Wasser auf? Spülen wir kalt? Oder ist gut ausgeleckt auch schon halb gespült? Ich werde an dieser Stelle nicht verraten wir uns entschieden haben, aber wir sind ja alle erwachsen. Beim Aufwachen am Samstagmorgen stellt sich dann heraus, dass ich „warme Kleidung“ auf der Packliste wohl doch nicht ganz durchdacht habe. Eine Mütze für die Nacht wäre schlau gewesen, denn bekanntlich entflieht die meiste Wärme über den Kopf… man lernt nie aus. Unser Ziel für den Samstag ist eine Schutzhütte mit Aussichtspunkt. Jedenfalls interpretieren wir so das Symbol auf der Karte.  Nach einem leckeren Frühstück marschieren wir los. Und obwohl wir uns zwischendurch sehr unsicher waren, wo genau wir uns befinden kommen wir 21 Kilometer und ein paar Blasen später tatsächlich an unserem Ziel an. Eine Aussicht hat man von der Schutzhütte leider nicht, dafür bietet sie sich aber wunderbar als Nachtlager an. Heute gibt es Linsen-Bolognese mit Nudeln und die zweite Hälfte der Knoblauchknolle wandert in den Topf. Für den Sonntag ist unsere Endstation Oestrich-Winkel und unser Weg führt uns durch schöne Weinberge.

 

 

Am Bahnhof in Oestrich-Winkel werden die Reste des Essens verputzt. Eigentlich gibt es nur noch Brot, Margarine und „Pizza e Pasta“-Gewürzt. Wie sich herausstellt, eine vorzügliche Mischung. Ich kann allerdings nur bedingt eine Verzehrempfehlung aussprechen, denn manche Dinge schmecken einfach nur, wenn man die letzten drei Tage auf Fahrt war. Um eine Zugverbindung nach Hause zu buchen mache ich widerwillig mein Handy wieder an. Ich hatte zwischenzeitlich ganz vergessen, dass ich es überhaupt dabei hatte. Eine Haufen Nachrichten und E-Mails erscheinen. Wie angenehm es doch war, die letzten Tage nicht dauerhaft für alles und jeden erreichbar zu sein. Wie erholsam, nicht ständig den Kalender mit allen To-Do’s vor Augen zu haben. Ich will mich auf das wesentliche beschränken und Ich will immer wieder aufbrechen, sind zwei unserer Wegzeichen in der Heliand Pfadfinderinnenschaft, Richtlinien, nach denen wir unser Leben ausrichten wollen. In meinem Alltagsstress habe ich sie in den letzten Monaten ziemlich aus den Augen verloren. Doch diese Fahrt hat mir nicht nur dabei geholfen festzustellen wo ich in meinem Leben stehe und wo ich noch hin will, sondern mich auch daran erinnert wie gut es mit tut mit anderen Pfadfinderinnen gemeinsam unterwegs zu sein. Morgens von Vogelgezwitscher im Wald geweckt zu werden, mich mit anderen Frauen über Werte und Ziele auszutauschen und gemeinsam mit der Gitarre begleitet zu singen.

 

 

Ganz herzlich möchte ich mich im Namen aller bei der Katharina-Zell-Stiftung bedanken, die diese Fahrt finanziell bezuschusst hat. Die Katharina-Zell-Stiftung fördert seit 2007 Projekte, die unter anderem Frauen und Mädchen in ihrer Alltags- und Lebenskompetenz stärken. (Infos unter: www.evangelischefrauen.de/stiftung/ )

 

Leonie Hammen